Die Kunst der Pferdeflüsterer besteht darin, wilde Pferde, diese Herden- und Fluchttiere, zu einer vertrauensvollen Partnerschaft mit Menschen hinzuführen. Und sie tun das mit einer gehörigen Portion Einfühlungsvermögen, mit jeder Menge Klarheit, Strenge und Konsequenz, und mit viel Geduld und Liebe. Diese Vorgehensweise bewährt sich auch im Umgang mit unserem meist noch ungezähmten Leistungstier ‒ diesem inneren Programm, Leistung erbringen zu müssen. Um jeden Preis, im Extremfall bis hin zum Burnout, und pflichtbewusst, Stichwort: Aufopferung.
Pferdeflüsterer haben ein umfassendes Verständnis für das natürliche Wesen der Pferde, sie wissen und erkennen, wie sie ticken, sprechen gar ihre (Körper-)Sprache und kommunizieren entsprechend mit ihnen. In diesem Sinne lohnt es sich auch, das Wesen unserer hauseigenen Leistungstiere bewusst zu ergründen und zu verstehen. Um in ein freudiges Teamwork mit ihnen zu kommen.
Funktionieren hui, anders sein pfui!
Rückblick: Wenn wir eines in unserer Kindheit nicht gelernt haben, dann ist es die Fähigkeit, NEIN zu sagen, wenn etwas für uns nicht stimmte. Im Gegenteil wir haben uns in den frühesten Jahren unserer Kindheit eine vollkommen andere Überlebensstrategie zugelegt, wir haben nämlich gelernt, ja schön brav zu sein ‒ nett, anständig, ruhig, angepasst ‒ pflegeleicht. Wenn wir schön brav waren, dann hatten wir sie auf sicher, die Zuneigung unserer Schlüsselpersonen, die Anerkennung, die Liebe von Vater und Mutter, die Aufmerksamkeit unserer Geschwister, das Lob der Onkels und Tanten. Waren wir nicht artig, sondern einzig, dann gab‘s Stress, gab‘s Konflikte, gab’s Liebensentzug. Unser inneres Kind, diese unsere emotionale, frühkindliche Prägung, kann ein Lied davon singen, funktionieren hui, anders sein pfui! Das Kind in uns hat gelernt, es anderen möglichst recht zu machen, es war seine erste Strategie, um Ärger zu vermeiden und Liebe einzuheimsen. Anpassung und Leistung waren die Wege dorthin.
Wir kleine Jungens haben vielfach noch folgende Nuance mitbekommen in unser immer-schön-brav-und-artig-Programm: Ja keine Schwäche zeigen, immer schön stark sein, kämpfen, schuften, leisten, um etwas (wert) zu sein! Und den Mädels wurde oft noch folgender Zusatz eingeimpft in ihr immer schön-artig-Programm: Ja immer für die anderen da sein, aufopfernd, hilfsbereit, nett lächelnd und lieb.
Natürlich haben wir uns in der Folge oft gesträubt gegen all die Ansprüche von aussen, haben geweint, waren traurig, innerlich wütend, verstockt. Dem seelischen Druck all der wenig oder nicht geäusserten NEINs haben wir dann vor allem in der Pubertät Luft gemacht, gehörig und explosiv befreiend: Mit unseren kindlich-trotzigen NEINs ‒ diesem fundamentalen wuchtigen Contra, diesem rebellischen Gegen-alle-und-alles-Sein. Dieses kindlich-trotzige Verhalten retten aber viele Menschen noch weit hinein ins Erwachsenenleben. Indem sie zum Beispiel ja nicht so sein wollen wie die Eltern, und indem sie grundlegend trotzige Mühe bekunden mit Autoritäten.
Die Crux an diesen Programmen unserer Kindheit besteht darin, dass wir uns mit all diesen von aussen an uns herangetragenen Verhaltensweisen identifizieren, dass wir alle diese Erwartungen und Werte nicht nur übernehmen, verinnerlicht haben, sondern sie unbewusst und unreflektiert weiterleben und -pflegen. Das heisst, wir leben gar nicht unser eigenes Leben, sondern wir schreiben die alten Programme weiter. Wir definieren uns von aussen nach innen. Unser Selbstwert definiert sich so durch die Erwartungen, die von aussen an uns herangetragen werden. Erfüllen wir diese Erwartungen, dann sind wir gut, lieb, brav, sind etwas wert. Wenn nicht, dann nicht. Dieser von aussen an uns herangetragene Massstab ist der Knackpunkt. Das ist die Herausforderung und die Aufgabe für ein weniger fremdbestimmtes, dafür umso selbstbestimmteres Leben. Es geht dabei aber nicht darum, gar keine äusseren Erwartungen mehr zu erfüllen, sondern dies bewusst zu tun, wenn es für einen stimmt.
Das Leistungstier in seiner ungezähmten Form repräsentiert all diese unbewussten Programme in uns, wonach wir etwas leisten müssen, um etwas wert zu sein. Ich arbeite, also bin ich! Das Leistungstier in seiner erlösten Form hingegen ist pure Freude an seiner eigenen Arbeitskraft. Sie zeigt sich in der tatkräftigen Begeisterung, einen Beitrag zu einem übergeordneten Ganzen beizusteuern, sei es das Team, die Abteilung, die Firma, die Gesellschaft, die Menschheit.